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Aggressions- und Kampfverhalten (2) Von: Petra Pfaff24.10.2012

Teil 2 des Berichtes zum Aggressions- und Kampfverhalten von Petra Pfaff.

WOZU DAS BÖSE GUT IST!
Kampf ist in der Natur ein allgegenwärtiger Vorgang, die Verhaltensweisen ebenso wie die Angriffs- und Verteidigungswaffen, die ihm dienen, sind so hoch entwickelt und so offensichtlich unter dem Selektionsdruck ihrer jeweiligen arterhaltenden Leistung entstanden. 

„Kampf ums Dasein“ (Darwin) – Irrtümlicherweise als Kampf zwischen den verschiedenen Arten interpretiert, ist jedoch in erster Linie die Konkurrenz zwischen Nahverwandten. 

Es gibt allerdings auch kampfartige Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Arten.


Zum Beispiel: So schlägt und frisst ein Uhu des Nachts selbst scharf bewaffnete Raubvögel. Wenn diese dann die große Eule am hellen Tag antreffen, greifen sie ihrerseits voll „Hass“ an.

Im Gegensatz zu den inner-artlichen Auseinandersetzungen, ist die arterhaltende Funktion bei allen zwischen-artlichen Auseinandersetzungen viel offensichtlicher. 
Was eine Tierart unmittelbar in ihrer Existenz bedroht, ist nie der „Fressfeind“, sondern immer der Konkurrent. 

Die Auseinandersetzung zwischen Raubtier und Beute ist aber kein Kampf im eigentlichen Sinne des Wortes. 
Zwar mag das Zuschlagen der Tatze, mit dem der Löwe seine Beute ergreift, in seiner Bewegungsform demjenigen gleichen, mit dem er seinem Nebenbuhler eines auswischt. Aber die inneren, verhaltensphysiologischen Beweggründe des Jägers sind von denen des Kämpfers grundverschieden. 

Der Büffel, den der Löwe schlägt, ruft also in keinster Weise die Aggression des Löwen hervor. 


Schon in den Ausdrucksbewegungen ist die Verschiedenheit der inneren Antriebe deutlich abzulesen. So kann man dem Löwen ablesen, dass er keineswegs böse ist: Knurren, Ohren zurücklegen und andere vom Kampfverhalten her bekannte Ausdrucksbewegungen sieht man jagenden Raubtieren nur, wenn sie sich vor einer wehrhaften Beute erheblich fürchten – und selbst dann nur in Andeutung. 

Näher mit echter Aggression verwandt als der Angriff des Jägers auf seine Beute ist der umgekehrte Vorgang, die „Gegenoffensive“ des Beutetieres gegen den Fressfeind.

Die arterhaltende Leistung des Angriffs auf den Fressfeind ist offensichtlich. Selbst wenn der Angreifer klein und waffenlos ist, fügt er dem Angegriffenen doch beträchtlichen Schaden zu.
Alle einzeljagenden Tiere haben ja nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn ihr Angriff die Beute überrascht.

Eine dritte Art des Kampfverhaltens nennt sich die „kritische Reaktion“. 
Der Ausdruck „fighting like a cornered rat” ist bekanntlich im Englischen zum Symbol des Verzweiflungskampfes geworden, in dem der Kämpfer alles einsetzt, weil er nicht entkommen kann und keinerlei Gnade zu erwarten hat.

Diese heftigste Form des Kampfverhaltens ist von Furcht motiviert, von intensivstem Fluchtdrang, dem seine gewöhnliche Auswirkung im Davonlaufen dadurch verwehrt ist, dass die Gefahr zu nahe ist. 
Das Tier wagt dann gewissermaßen nicht mehr, dieser den Rücken zuzuwenden, und greift mit den sprichwörtlichen „Mute der Verzweiflung“ an. 

In den eben besprochenen besonderen Fällen, in denen Tiere verschiedener Arten miteinander kämpfen, ist das eine gemeinsam, dass der Vorteil klar zu Tage liegt, den jeder der Streitenden durch sein Verhalten erringt, oder doch im Interesse der Arterhaltung erringen „soll“. 

Auch die inner-artliche Aggression, die Aggression im eigentlichen und engerem Sinne des Wortes, vollbringt eine arterhaltende Leistung. 

Der normale Zivilisationsmensch bekommt echte Aggression ja meistens nur dann zu sehen, wenn zwei seiner Mitbürger oder seiner Haustiere sich in die Wolle kriegen, und sieht so begreiflicherweise nur die üblen Auswirkungen solchen Zwistes.


Wir wollen also für den Augenblick vergessen, dass der Aggressionstrieb unter den Lebensbedingungen der Zivilisation sehr gründlich „aus dem Gleise geraten“ ist, und uns möglichst unbefangen der Erforschung seiner natürlichen Ursachen zuwenden. 

Wir fragen uns natürliche zuerst nach der arterhaltenden Leistung, die das Kämpfen gegen Artgenossen unter natürlichen Bedingungen vollbringt. Die Frage nach dem Arterhaltungswert hat bekanntlich schon DARWIN selbst gestellt und auch schon eine einleuchtende Antwort gegeben: Es ist für die Art, für die Zukunft, immer von Vorteil, wenn der stärkere von zwei Rivalen das Revier oder das umworbene Weibchen erringt. 

Weiters geht es um die Ökologie – von den vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen dem Organismus und dem natürlichen Lebensraum. 

Die Gefahr, dass in einem Teil des zur Verfügung stehenden Biotops eine allzu dichte Bevölkerung einer Tierart alle Nahrungsquellen erschöpft und Hunger leidet, während ein anderer Teil ungenutzt bleibt, wird am einfachsten dadurch gebannt, dass die Tiere einer Art einander „abstoßen“. 

Dies ist, in dürren Worten die wichtigste arterhaltende Leistung der intraspezifischen Aggression. 

Die gleichmäßige Verteilung gleichartiger Tiere in ihrem Lebensraum ist die wichtigste Leistung der intraspezifischen Aggression – doch ist sie keineswegs ihre einzige!

Schon DARWIN hat gesehen, dass die geschlechtliche Zuchtwahl, die Auswahl der besten und stärksten Tiere zur Fortpflanzung sehr wesentlich dadurch gefördert wird, dass rivalisierende Tiere, vor allem männliche, miteinander kämpfen. 

Einen unmittelbaren Vorteil für das Gedeihen der Kinderschar bietet die Stärke des Vaters natürlich bei solchen Arten, bei denen er an Fürsorge für die Jungen und vor allem an ihrer Verteidigung aktiv teilnimmt. 

Ganz selbstverständlich gibt es im Tier- und Pflanzenreich neben den zweckmäßigen auch alles, was nicht so unzweckmäßig ist, dass die Selektion es ausmerzt.


Der strenge Wächter über die Zweckmäßigkeit „drückt nicht nur ein Auge zu“ und lässt eine zweitklassige Konstruktion passieren, nein, die Selektion selbst ist es, die sich hier in verderbenbringende Sackgassen verirrt. 

Sie tut dies immer dann, wenn der Wettbewerb der Artgenossen, ohne Beziehung zur außerartlichen Umwelt, allein Zuchtwahl betreibt.

Beispiel: 
Die Hast, in die sich die industrialisierte und kommerzialisierte Menschheit hinein gesteigert hat, ist ein gutes Beispiel einer unzweckmäßigen Entwicklung, die ausschließlich durch den Wettbewerb zwischen Artgenossen bewirkt wird. 

Den bösen Wirkungen intraspezifischer Selektion ist der Mensch aus naheliegenden Gründen besonders ausgesetzt. Wie kein anderes Lebewesen vor ihm ist er aller feindlichen Mächte der außerartlichen Umwelt Herr geworden. 


Bär und Wolf hat er ausgerottet und ist nun tatsächlich, wie das lateinische Sprichwort sagt, sein eigener Feind, Homo homini lupus.

Mehr als andere Eigenschaften kann gerade das aggressive Verhalten durch seine verderbliche Wirkung ins Groteske und Unzweckmäßige übersteigert werden. 

Vor allem aber ist es mehr als wahrscheinlich, dass das verderbliche Maß an Aggressionstrieb, das uns Menschen heute noch als böses Erbe in den Knochen sitzt, durch einen Vorgang der intraspezifischen Selektion verursacht wurde, der durch mehrere Jahrzehntausende, nämlich durch die ganze Frühsteinzeit, auf unsere Ahnen eingewirkt hat. 

Als die Menschen eben gerade so weit waren, dass sie kraft ihrer Bewaffnung, Bekleidung und ihrer sozialen Organisation die von außen drohenden Gefahren des Verhungerns, Erfrierens und Gefressenwerdens von Großraubtieren einigermaßen gebannt hatten, so das diese nicht mehr die wesentlichen selektierenden Faktoren darstellten, muss eine böse intraspezifische Selektion eingesetzt haben. 

Der nunmehr Auslese treibende Faktor war der Krieg, den die feindlichen benachbarten Menschenhorden gegeneinander führten. 

Angeborene Verhaltensweisen können durch eine an sich geringfügige Änderung von Umweltbedingungen völlig aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Zum Beispiel der Aggressionstrieb in der Gefangenschaft.

Gerade die Einsicht, das der Aggressionstrieb ein echter, primär arterhaltender Instinkt ist, lässt uns eine volle Gefährlichkeit erkennen: Die Spontaneität des Instinktes ist es, die ihn so gefährlich macht.

FREUD darf den Ruhm für sich beanspruchen, die Aggression erstmalig in ihrer Eigenständigkeit erkannt zu haben, auch hat er gezeigt, dass der Mangel an sozialem Kontakt, vor allem sein Verlorengehen (z.B. Liebesverlust), zu den stark begünstigten Faktoren zählen. Anonymität trägt viel dazu bei, die Auslösung aggressiven Verhaltens zu erleichtern.

Die sogenannte Polarkrankheit, auch Expeditionskoller genannt, befällt bevorzugt kleine Gruppen von Männern, wenn diese in den durch obigen Namen angedeuteten Situation ganz aufeinander angewiesen und damit verhindert sind, sich mit Fremden, nicht zum Freundeskreis gehörenden Personen auseinander zu setzen. 

Aus dem Gesagten wird bereits verständlich sein, dass der Stau der Aggression um so gefährlicher wird, je besser die Mitglieder der Gruppe einander kennen, verstehen und lieben.

Die Um- und Neuorientierung des Angriffs ist wohl das genialste Auskunftsmittel, das der Artenwandel erfunden hat, um die Aggression in unschädliche Bahnen zu leiten.

Eine im menschlichen Kulturleben entwickelte, ritualisierte Sonderform des Kampfes ist der Sport.


Literaturverzeichnis
BINHACK, AXEL; Über das Kämpfen
KONRAD, LORENZ; Das sogenannte Böse